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"Arbeit ist des Bürgers Zierde", meint Schiller und "Segen ist der Mühe Preis." Mehr bleibt auch nicht, wenn einen sonntagmorgens pünktlich um 7.00 Uhr nicht nur gefühlte, sondern reale 70 Dezibel des nachbarlichen Rasenmähers aus den Federn werfen. Da beschleichen einen schnell Mordgelüste, da werden nicht nur "Weiber zu Hyänen", wie es in Schillers Lied von der Glocke heißt. So dachte wohl auch ein Neubürger im schönen Holzkirchen im bayerischen Oberland. Holzkirchen, das Tor zum Tegernseer Tal, hinter dem sich das Alpenpanorama entfaltet wie in Schillers Tell: "Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe (...) im hellen Sonnenschein liegen. Zur (...) Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken".Hand aufs Herz, gibt's was Schöneres als eine Wilhelm-Tell-Kulisse im S-Bahnbereich, in Pendelnähe zur Arbeit? Deswegen zieh'n die Leute ja auch raus, ins Oberland, wo der Kirchturm noch im Dorfe steht. Gut, er ist nicht wirklich schön, der Turm von St. Josef. Die Kirche stammt ja von 1961 - einer Zeit also, die nicht gerade als kirchenarchitektonische Blüte gilt. Aber immerhin hat St. Josef eine Glocke, wie es sich gehört. Und was sagt Schiller zur Glocke? Richtig: "Daß vom reinlichen Metalle / Rein und voll die Stimme schalle." Doch allzu wörtlich wollte es unser Neubürger Schiller dann doch nicht verstehen. Alle Viertelstunde schlug das eherne Monstrum. In der Lautstärke eines Rasenmähers zeigte die Glocke von St. Josef die verrinnende Zeit an. "Ertragen muss man, was der Himmel sendet," dachte sich da wohl der Neubürger mit Tell, aber "Unbilliges erträgt kein edles Herz." Und so beschwerte er sich beim Landratsamt. Auch der Amtsschimmel musste in der Schule Schillers Räuber lesen und fand: "Dem Mann kann geholfen werden." "Frisch also! Mutig an's Werk!" und seit 10. Januar 2009 hieß es zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr für die Glocken von St. Josef: "Große Seelen dulden still". Das wiederum wollten sich die Alteingesessenen von Holzkirchen nicht gefallen lassen: "Den schlechten Mann muß man verachten", zürnten sie, "der nie bedacht, was er vollbringt."

 

"Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben," sagt Wilhelm Tell in Friedrich Schillers gleichnamigen Drama, "wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt." Nie hatte Schiller mehr Recht als in den Zeiten von Rasenmäher und Laubsauger - und zugroasten Glockenverächtern! 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Einwohnerumfrage ergab nämlich, dass von 229 Anwohnern 216 ihr Geläut auch nachts wiederhaben wollten. Also erließ das Landratsamt einen neuen Beschluss, der da lautet: Die Glocken dürfen wieder schlagen, aber nur in einem schallgedämmten Turm. Ist das nun der "Fluch der bösen Tat" oder war "der Einfall (...) kindisch, aber göttlich schön"?

"Der langen Rede kurzer Sinn" - Mögen sich doch bitte alle Streithansl, ob einheimisch oder zugroast, an den Schluss vom Lied von der Glocke halten: "Friede sei ihr erst Geläute."